Unterschied zwischen Imam, Scheich, Mufti und Rechtsgelehrten
Ihre Frage
Das Büro der japanischen Zeitung MAINICHI in Kairo wünscht auf folgende Fragen Antworten:
- Unterschied zwischen Imam, Scheich, Mufti und Rechtsgelehrten.
- Natur der Tätigkeit eines jeden von ihnen.
Erforderliche Erfahrungen für jemanden zum Erlangen eines dieser Titel.
- Stelle, die die Titel verleiht.
Dieser Wunsch wird geäußert zwecks Verbesserung der Berichte, die die Zeitung aus Ägypten veröffentlicht und die das Zitieren von Erklärungen seitens dieser Titelträger beinhalten, und zwecks Präsentation dieser Berichte für die japanische öffentliche Meinung in korrekter Form.
Antwort
1. Das Wort "Imam" hat mehrere Bedeutungen.
Erstens: Derjenige, der die Position vor Betenden einnimmt um die Leitung des rituellen Pflichtgebetes wahrzunehmen. Für ihn gilt die Voraussetzung, dass er Muslim ist, den Quran gut rezitieren kann, und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, also kein Geisteskranker, sowie männlich ist, falls es unter den hinter ihm Betenden Männer gibt. Für eine Frau ist es nur möglich, Imamin für Frauen zu werden. Es ist indes keine conditio sine qua non, dass der Imam volljährig ist, vielmehr ist das Vorbeten eines Minderjährigen rechtsgültig.
Zweitens: Im islamischen Recht wird der Begriff "Imam" auch auf das Staatsoberhaupt angewandt.
Drittens: Der Begriff "Imam" gilt ebenso für denjenigen, der im Wissen versiert ist oder den höchsten Rang unter den Leuten der Religion einnimmt. Es gibt keine bestimmte Grenze, die es ermöglicht, dass sie das Minimum für das Zuerkennen dieses Titels darstellt, vielmehr hängt diese Angelegenheit mit dem Ruf dieses Gelehrten und dem Ausmaß dessen Glaubwürdigkeit unter den Gelehrten zusammen. Hierbei handelt es sich um eine Angelegenheit, die sich je nach Zeit und Ort unterscheidet.
2. Das Wort "Scheich" wird linguistisch gesehen auf denjenigen angewandt, der sechzig Jahre alt oder älter ist, sowie auf das Oberhaupt einer Sippe oder eines kleinen Dorfes, selbst wenn es sich um einen jungen Mann handelt. In Ägypten ist es Usus, dass derjenige, der sich mit dem Studium schariatischer Wissenschaft beschäftigt, selbst wenn er noch ein Kind ist, als "Scheich" bezeichnet wird. Daher wird der Quran-Auswendiglernende als Scheich bezeichnet, auch wenn er nicht auf schariatische Wissenschaften spezialisiert ist, und zwar in Anbetracht dessen, dass das Quran-Auswendiglernen zu den Disziplinen schariatischer Wissenschaften gehört.
3. Beim "Rechtsgelehrten" handelt es sich um einen Gelehrten, der die Wissenschaft studiert, die sich der Erkenntnis der schariatischen Rechtsnormen widmet, die aus den Quellentexten der islamischen Scharia deduziert werden und mit den Handlungen der zur religiösen Vorschriften Verpflichteten im Zusammenhang stehen. Die schariatischen Quellen bilden der Quran, die Sunna, der Konsensus und der Analogieschluss. Auf der Grundlage dessen bezieht sich das Betätigungsfeld eines Rechtsgelehrten auf den schariatischen Quellentext sowie die Art und Weise dessen Verstehens der schariatischen Rechtsnormen und Deduzierens aus diesen, die Beschreibungen der menschlichen Handlungen darstellen, wie etwa die Pflicht, das Verbot, das Unerwünschtsein, das Erwünschtsein und das Indifferente.
4. Ein "Mufti" ist ein Rechtsgelehrter in der Bedeutung der obigen Erklärung, zu dessen Wissen das Wissen um das Erfassen von Tatbeständen des täglichen Lebens und das Wissen um die Art und Weise der Verknüpfung einer schariatischen Rechtsnorm mit diesen erfassten Tatbeständen hinzukommt, und zwar ob der Verwirklichung der hohen Ziele der Scharia, nämlich Schutz des Lebens, der Vernunft, der Religion, der Würde des Menschen und dessen Vermögen.
Aus diesen Definitionen erkennen wir, dass die Bezeichnung "Imam" kein Amt im Sinne der Scharia in dem Maße darstellt, wie es bei der Rangstellung der mit den schariatischen Wissenschaften Beschäftigten der Fall ist, die als wissenschaftliche Gruppe bezeichnet werden. Das Gleiche gilt für das Wort "Scheich".
Was den "Rechtsgelehrten" betrifft, so verleihen ihm diesen Titel Fachakademien, wenn er sich mit dem Lehren an Universitäten und auf wissenschaftlichem Gebiet oder mit dem Verfassen von Fachliteratur beschäftigt, insbesondere wenn diese seine Werke zu einer Quelle in seinem Fachbereich werden, oder wenn er offiziell oder in populärer Weise Fatwas erteilt. Was nun die offizielle Stelle betrifft, so wird ein amtlicher Beauftragter religiöser Behörden in der Arabischen Republik Ägypten eingestellt, die durch die ehrwürdige Al-Azhar, die islamische Forschungsakademie, das Ministerium für religiöse Stiftungen oder das Justizministerium repräsentiert werden.
Was nun den "Mufti" anbelangt, so ernennt ihn in der Arabischen Republik Ägypten deren Präsident. Er ist der Großmufti des Landes. Es wird bei ihm vorausgesetzt, dass er die höchsten wissenschaftlichen Grade in der Scharia erlangt hat, über Erfahrung beim Erfassen von Tatbeständen und Erteilen von Fatwas verfügt und für Gerechtigkeit bekannt ist, wie es bei den Rechtsprechenden der Fall ist. Er soll auch über ein wissenschaftliches Instrumentarium verfügen, das es ihm ermöglicht den wahren Tatbestand festzustellen und die Rechtsnorm mit den vorkommenden Geschehnissen unter Wahrung der Verwirklichung der Ziele zu verknüpfen.
Auf Grund dessen soll eine Person mit keinem einzigen der genannten Titel bezeichnet werden, nur weil sich diese Person nach vorne drängt um in den Massenmedien über die Religion zu sprechen – wie es in unserer Zeit gang und gäbe ist –, ohne dass sie weder über ein vollkommenes akademisches wissenschaftliches Instrumentarium der Al-Azhar-Universität verfügt noch von den oben erwähnten zuständigen Stellen anerkannt wird.
Der für die islamischen Angelegenheiten Verantwortliche ist entsprechend dem Gesetz und aberhundertjähriger Praxis der Scheich der Al-Azhar, den man "Groß-Imam" nennt. Die obersten religiösen Führer werden repräsentiert durch Seine Exzellenz den Minister für religiöse Stiftungen, der zuständig für den islamischen einladenden Aufruf und dessen Übermittlung im In- und Ausland auf jedwede Weise ist, durch den Rektor der Azhar-Universität, der zuständig für die wissenschaftliche Seite in deren obersten Bereich ist, und durch den Großmufti Ägyptens, der zuständig für das Erteilen von Fatwas für Fragesteller sowohl im Inland als auch im Ausland ist. Es hat sich eingebürgert, dem Minister für religiöse Stiftungen den Titel "Seine Exzellenz der Minister", dem Rektor der Universität den Titel "Seine Eminenz Professor Doktor" und dem Großmufti Ägyptens den Titel "Seine Eminenz der Großmufti" zu geben.