Heirat Behinderter

Das Ägyptische Fatwa-Amt

Heirat Behinderter

Ihre Frage

Die vorliegende Frage dreht sich um Folgendes:

    Einige Familien geistig Behinderter (leichte Geistesbehinderung, dass nämlich ein geistig Behinderter bei seinen privaten Lebensangelegenheiten – persönliche Hygiene, Nahrungsaufnahme und Durchführen einiger einfacher Handlungen – nicht auf Andere angewiesen ist und man ihn zu einigen Handwerken und leichten gewerblichen Tätigkeiten, die keine geistige Anstrengung benötigen, ausbilden kann, wobei das mentale Alter bei ihm immer niedriger als das tatsächliche Alter liegt) sind mit dem Problem konfrontiert, dass diese Familien ihre Kinder verheiraten möchten, aber vor einigen Problemen stehen, zu denen folgende gehören:

1. Sie fürchten, dass ihre Söhne ob genetischer Faktoren geistig behinderte Kinder bekommen.
2. Einige Erziehungsberechtigte lehnen es ab, ihre Töchter mit geistig Behinderten zu verheiraten. Deshalb weichen einige wohlhabende Familien – die geistig behinderte heiratswillige Söhne haben – auf arme Familien aus, die zuweilen einverstanden sind, ihre Töchter mit diesen Behinderten zu verheiraten.

    Die Frage lautet nun:

1. Hat ein geistig Behinderter – leichte Geistesschwäche – das Recht auf Heirat, wenn seine Familie für ihn und für seine Ehefrau aufkommen kann oder er eine Erbschaft besitzt?
2. Bestätigen Erbgutanalysen und Familienchronik, dass dieser Behinderte im Falle seiner Heirat möglicherweise behinderte Kinder bekommt, darf man ihm in diesem Fall die Heirat vorenthalten, und zwar aus Furcht um die Gesellschaft vor Verbreitung der Geistesbehinderung? Liegt auf der Gesellschaft oder seiner Familie sündhaftes Vergehen, wenn sie ihn an der Heirat hindern?
3. Ist für den Fall des Vorhandenseins eines Vormundes für den geistig Behinderten für diesen das Erlauben der Heirat möglich, wenn es weder schariatische noch medizinische Hinderungsgründe gibt?
 

Antwort

    Ein geistig Behinderter – in der Art wie nach ihr gefragt wird – hat das Recht zu heiraten, solange die Elementarpflichten einer Heirat gegeben sind. Denn wenn die Scharia schon sowohl einem geisteskranken Mann als auch einer geisteskranken Frau die Heirat freistellt, gilt doch erst recht die Zulässigkeit der Heirat desjenigen, der unter leichter Geistesbehinderung leidet, und es spricht nichts dagegen, solange man dessen Interessenwahrung durch Sorgen für dessen Nutzen erstrebt. Ferner gibt es in den Werken der islamischen Rechtslehre Themenkreise und Kapitel, die – in allen Rechtsschulen – über die Heirat eines Geisteskranken und Zwangsvormundschaft für ihn – wie die Vormundschaft bei einem Minderjährigen – sprechen. Sie sind aber unterschiedlicher Meinung, ob sich die Vormundschaft nur auf den Vater und den Großvater beschränkt oder auch übrige Vormünder oder sogar einen Rechtsprechenden – das heißt einen Richter – umfasst. All dies beinhaltet das Wohlinteresse dieses Menschen, der Sehnsüchte und Gefühle in sich vereint sowie Unterkunft, Unterhalt, Fürsorge und Pflege wie alle anderen Menschen auch braucht, wobei noch weitere Bedürfnisse in einigen Bereichen, die von seinem besonderen Zustand abhängen, hinzukommen. 

    Wir finden – zum Beispiel – im Werk Kaschaafu-l-Qinaa´ in der hanbalitischen Rechtslehre: "Was eine geisteskranke Frau betrifft, so obliegt es sämtlichen Sachwaltern, diese zu verheiraten, wenn sich ihre Neigung zu Männern klar herausstellt, weil sie der Heirat ob des Abwendens von Schaden des Gelüstes von ihr, ihres Schutzes vor Unmoral, des Empfangs von Brautgabe und Unterhalt, der Keuschheit sowie des Schutzes der Ehre bedarf. Aus diesem Grund ist ihre Heirat erlaubt. Ihre Neigung zu Männern erkennt man an ihren Äußerungen, am Beobachten von Männern, an ihrer Zuneigung zu ihnen und ähnlichen Indizien. Und wenn ein zuverlässiger Facharzt – falls es einem anderen außer ihm nicht möglich ist –, sonst zwei Ärzte erklären, dass ihre Krankheit durch ihr Heiraten verschwindet, steht es jedem Sachwalter zu, sie zu verheiraten, weil dies zu deren bedeutendsten Interessen gehört, genauso wie die Heilbehandlung. Hat diese heiratswillige Geisteskranke keinen Sachwalter außer dem Rechtsprechenden, soll dieser sie verheiraten." Zitatende!

    Obwohl es einen Unterschied zwischen einem Geisteskranken und einem Geistesbehinderten gibt, gibt es auch etwas Verbindendes zwischen beiden, was das Thema der Heirat beeinflusst, nämlich das Leben eines Menschen, der den Beischlaf ausüben kann und von Natur aus für das soziale Leben geschaffen wurde und der Pflege, der Sicherheit und des Unterhalts bedarf.

    Es versteht sich von selbst, dass mit der Dominanz der Sachwalter, Vormunde und Bürgen das pure Interesse des Schutzbefohlenen beabsichtigt wird und sich die Angelegenheit nicht in einen Menschenhandel in Form einer unmenschlichen und unmoralischen Ausnutzung dieser Behinderten wandelt.

    Auf Grund dessen wird kein Behinderter vom Heiraten abgehalten; denn Heiraten ist etwas und Fortpflanzen ist etwas Anders. Im Heiraten liegen Liebenswürdigkeit, Barmherzigkeit, Zuneigung, Zusammenwirken, Unterhalt, Verschwägerung und viele hehre Bedeutungen, vom Fortpflanzen ganz zu schweigen. Wäre das Fortpflanzen notwendig, erforderlich und mit dem Heiraten gänzlich verbunden, wäre die Heirat der verzweifelnden Alten, der Unfruchtbaren oder der Jungen rechtsungültig und infolgedessen nichtig. Damit fällt diese These fort und es erweist sich das Gegenteil, nämlich das Nicht-Erforderlichsein und das Nicht-Notwendigsein der Verbindung zwischen Heiraten und Fortpflanzung. Man kann das Nicht-Fortpflanzen, dessen Hinauszögern oder dessen Begrenzung je nach Interesse in jedem Einzelfall neu auf die eine oder andere Weise kontrollieren – dabei handelt es sich um ein Thema, bei dem die Experten und die Kompetenten ihre Argumente vorbringen.

    Der Grundsatz lautet, dass das Verhalten des Vormundes und der Eltern respektive eines der beiden gegenüber dem Behinderten sich auf das Interesse beschränkt und sich um dieses dreht. Liegt also die Heirat in seinem Interesse in psychischer oder gesundheitlicher oder sogar materieller Hinsicht, so darf man ihn am Heiraten nicht hindern. Vielmehr kann man gleiche oder nahezu ähnliche Fälle zwecks Ausrichten der Heirat miteinander verbinden, und zwar durch Vereine und Verbände, die sich um derartige Geistesbehinderte kümmern. Das Hinauszögern der für die Behinderten Verantwortlichen beim Verwirklichen deren Interesses - dessen Anzeichen sich ja zeigen – gilt als Nachlässigkeit und sündhaftes Vergehen, und zwar je nach dem Ausmaß der Nachlässigkeit der Verantwortlichen beim Erlangenlassen dieses Wohlinteresses, dessen Verwirklichung zu Gunsten der Behinderten sehr wahrscheinlich ist.

    Und Allah der Hocherhabene weiß es am besten!

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